Szene aus "The Lost Flowers of Alice Hart"
Bildrechte: Amazon Prime Video

"The Lost Flowers of Alice Hart"

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Serie "The Lost Flowers of Alice Hart": Neuanfang trotz Trauma

"The Lost Flowers of Alice Hart" erforscht mit teils drastischen Bildern die Themen Trauma, Resilienz und den Kampf um Selbstbestimmung. Und Schauspielerin Sigourney Weaver liefert in der Rolle der Großmutter ihre Bestleistung ab.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Ein Sturm braut sich langsam am weiten, orange glühenden Himmel Australiens zusammen. Er bricht plötzlich über die endlosen, grünen Felder herein. Und über die Menschen, die sie bewohnen. Im Zentrum der Serie "The Lost Flowers of Alice Hart": Ein Mädchen, dessen Vater sie und ihre hochschwangere Mutter misshandelt.

Alice, die Tochter, ist zu Beginn der Serie neun Jahre alt. Sie lebt mit ihren Eltern auf einer abgelegenen Farm. Ihr Vater, Clem, ist gewalttätig und unbeherrscht. Alice findet Zuflucht in Büchern. Sie malt sich aus, ihren Vater anzuzünden und wegzulaufen. Eines Tages bricht auf der Farm tatsächlich ein Feuer aus. Alice ist die einzige Überlebende. War sie es, die das Feuer legte?

Einblicke in gewalttätige Beziehungen

Alice kommt in die Obhut ihrer Großmutter, die eine Farm mit bedrohten Wildblumen betreibt. Hier arbeiten viele Frauen, die vor ihren gewalttätigen Partnern geflohen sind. "Flowers" werden sie hier genannt – so erklärt sich der Serientitel: "The Lost Flowers of Alice Hart". Die Frauen kommunizieren anhand von Blumen das, wofür Worte nicht reichen. Jede Blume trägt eine Bedeutung. Die Flechtblume steht für "Immer bei dir", die schwarze Feuerorchidee für den Wunsch, etwas zu besitzen. Sie geben auch den sieben Episoden der Serie ihre Titel.

"The Lost Flowers of Alice Hart" beschäftigt sich mit der Frage, wie wir trotz und mit traumatischen Erfahrungen neu anfangen und ein selbstbestimmtes Leben führen können. Selbst in den brutalsten Momenten weicht die Kamera nicht aus. Die Serie gibt Einblicke in gewalttätige Beziehungen, die für Außenstehende oft schwer zu verstehen sind. Etwa, warum Betroffene oft zu ihren Peinigern zurückkehren oder sie nicht verlassen.

Wir sehen, wie Traumata das Leben von Alice und ihrer Familie immer wieder in Bahnen lenken, die sie gar nicht nehmen wollten. Wie sie Schutz in Geheimnissen, Lügen und Grausamkeit suchen. Und wie Alice versucht, sich gegen diese Verhaltensmuster aufzulehnen.

Nach den ersten drei Folgen begegnen wir Alice als Mitte-20-Jährige wieder. Sie ist von Schuldgefühlen zerfressen, glaubt, ihre Familie getötet zu haben. Und ihre Großmutter fragt sich: Hätte sie verhindern können, dass ihr Sohn seine Familie misshandelt?

Sichtbare Zerrissenheit

Sigourney Weaver liefert als Großmutter June eine der besten schauspielerischen Leistungen ihrer Karriere: eine willensstarke, gezeichnete Frau in ihren 70ern. Sie trifft unverzeihliche Entscheidungen, verletzt Menschen, die sie liebt – ihre Motive und eigenen seelischen Wunden kommen dabei nur langsam ans Licht. Junes Zerrissenheit ist körperlich sichtbar: Sie ist steif und distanziert, erträgt Gewalt wie eine Betonmauer. Erst am Sterbebett brechen Reue und Scham aus ihr heraus. In Momenten wie diesen glänzt die Serie. Immer dann, wenn die Charaktere ganz widersprüchlich und lebendig sind.

Die eigentliche Handlung – Alices Selbstfindung – mäandert etwas unentschlossen im Hintergrund. Und: die Serie kann sich nicht ganz entscheiden, welches Genre sie denn nun sein möchte: So glaubt man in den ersten Folgen kurz, einem Thriller zu folgen, nur um die gespannten Fäden in der australischen Wüstensonne verglimmen zu sehen. Durch diese kleinen dramaturgischen Makel und die oft schmerzhaften Bilder ist die Serie nicht immer einfach anzuschauen. Dennoch berührt sie tief und klingt noch lange nach.

"The Lost Flowers of Alice Hart" kann bei Prime Video gestreamt werden.

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